The Blue Notebooks
Es gehört schon einiges an Können dazu, Streichquartette, elektronische Musik und die Schauspielerin Tilda Swinton, die Franz Kafka und den polnischen Dichter Czesław Miłosz rezitiert, zu einem kohärenten und ergreifenden Werk zusammenzufügen. Der britische Komponist Max Richter hat genau das mit „The Blue Notebooks“ getan, das 2003 ursprünglich als Protestalbum gegen den Irakkrieg komponiert und bei seinem Erscheinen 2004 sofort als ikonisches, bewegendes Werk gefeiert wurde. Die melancholische Musik fand ein Publikum weit über den klassischen Bereich hinaus: Das bittersüße „On The Nature Of Daylight“ verwendeten Martin Scorsese in „Shutter Island“ (2010) und Denis Villeneuve in seinem Sci-Fi-Film „Arrival“ (2016), es erhielt sogar sein eigenes Musikvideo. Der nachhaltige Einfluss von „The Blue Notebooks“ auf die Filmmusik unterstrich seine Bedeutung und rechtfertigte eine erweiterte Neuauflage – „The Blue Notebooks (15 Years)“ – im Jahr 2018 mit mehreren neuen Arrangements, Remixen und einer Bonus-Single. Das Herzstück des Werks ist jedoch „Shadow Journal“, in dem sich schwebende Violinenklänge und gesprochene Prosa mit einer pulsierenden Sublow-Basslinie vereinen. In „Old Song“ nimmt Richter ein Stück aus Robert Schumanns Liederzyklus „Dichterliebe“ (1840) – dem Äquivalent zu einem Konzeptalbum im 19. Jahrhundert – und streicht die klassische Stimme, sodass nur die sparsame Klavierbegleitung übrig bleibt. Selbst die Orgel in „Iconography“ und „Organum“ sprengt nie die nachdenkliche Atmosphäre. Das elegante Gleichgewicht zwischen nahezu schmerzlich langen Melodielinien und subtiler Elektronik wurde zu einem Bezugspunkt für zeitgenössische klassische Komponist:innen und Filmfans gleichermaßen.