

Mahler: Symphony No. 2 in C Minor "Resurrection" (Live)
„Ich war überwältigt“, sagt Kahchun Wong, Chefdirigent des Hallé-Orchesters, zu Apple Music Classical über seine erste Begegnung mit Gustav Mahlers „Auferstehungssinfonie“. „Sie wirkte zugleich fremd und vertraut. Fremd, weil ich in Singapur aufgewachsen bin, umgeben von chinesischen, malaiischen und indischen Volkstraditionen. Also Welten entfernt vom spätromantischen Wien. Und doch vertraut in ihrer menschlichen Essenz.“ Wong sieht das Werk als einen der großen Höhepunkte des klassischen Repertoires: „Für mich steht die ‚Auferstehungssinfonie‘ neben [Ludwig van] Beethovens ‚Neunter‘ und [Richard] Wagners ‚Ring‘-Zyklus. Nach diesem Werk war die Sinfonie nicht mehr dieselbe. Sie ist kein bloßes Mittel mehr, um etwas zu transportieren, sondern wird selbst zu einer inneren Odyssee durch Leben, Tod und Transzendenz. Ihre Bedeutung liegt darin, wie Mahler die Form der Sinfonie erweitert, bereichert und vermenschlicht.“ Als Wong die gewaltige Sinfonie mit dem Hallé, dem legendären Orchester Manchesters, einspielte, war er sich der langen Verbindung des Ensembles mit Mahlers Musik sehr bewusst. „Die Mahler-Tradition des Hallé ist tief verwurzelt und insbesondere mit Sir John Barbirolli verbunden. Sie wurde dann weitergetragen von einer langen, eindrucksvollen Reihe von Dirigent:innen, die den Klang und das emotionale Ausdrucksrepertoire des Orchesters geprägt haben. Diese Geschichte ist mir sehr wichtig, und ich bin ihr mit Ehrfurcht und Neugier begegnet. Als wir mit den Proben zu Mahlers ‚Auferstehung‘ begannen, fühlte es sich weniger an wie das Fortführen einer Tradition, sondern wie der Einstieg in ein lebendiges Gespräch.“ Zu den herausragenden Qualitäten des Hallé-Orchesters zählt Wong „die teutonische Wärme der Streicher, den goldglänzenden Klang von Blech und Holzbläsern, ein atmendes Schlagwerk und dazu diese Disziplin und Noblesse der Phrasierung, die das ganze Orchester durchdringt.“ Er erklärt weiter: „Diese Musiker:innen tragen die DNA des Barbirolli-Klangs, des [Mark] Elder-Klangs weiter: jenes Gefühl innerer Würde und Zurückhaltung. Meine Aufgabe war es, diese Klangwelt ein wenig weiter zu öffnen – hin zu Transzendenz und Staunen, ohne dabei ihre Menschlichkeit zu verlieren.“ Die Zusammenarbeit mit den Musiker:innen des Hallé-Orchesters, erinnert sich Wong, sei ausgesprochen partnerschaftlich gewesen: „Sie kennen Mahler in- und auswendig. Und doch kamen sie mit Offenheit und Neugier zu jeder Probe. Das ist etwas Seltenes und Kostbares bei einem Orchester mit einer so langen Tradition. Am Ende, denke ich, ging es bei unserer ‚Auferstehungssinfonie‘ nicht darum, etwas Neues auf einem Erbe aufzubauen, sondern die Gründe neu zu entdecken, warum dieses Erbe überhaupt existiert – dieses Gefühl von Sinnhaftigkeit, von gemeinsamer Menschlichkeit.“ Auch Wongs eigener kultureller Hintergrund prägte seine Sichtweise. „In Singapur und Südostasien“, erklärt er, „werden Leben und Tod mehr als Kreislauf und weniger als Zeitstrang gesehen. In vielen asiatischen Traditionen ist der Tod kein endgültiges Ende, sondern eine Umwandlung von Energie, eine Rückkehr zur Natur. Diese Weltsicht hat schon immer beeinflusst, wie ich Mahlers ‚Auferstehungssinfonie‘ höre. Der Trauermarsch des ersten Satzes ist nicht bloß Tragödie, sondern Teil eines größeren Kontinuums, eines elementaren Erneuerungsprozesses.“ Eine besonders wertvolle Erkenntnis verdankt Wong einem Freund, bei dem eine neurodegenerative Krankheit diagnostiziert wurde: „Ich erinnere mich an ein Gespräch darüber, was Auferstehung für ihn bedeutet. Nach langem Schweigen sagte er leise: ‚Es geht nicht darum, in den Himmel aufzusteigen, sondern wieder leben zu lernen.‘ Dieser Satz ist mir im Gedächtnis geblieben.“ Das Ganze gab Wong eine besondere Perspektive auf Mahlers „Auferstehungssinfonie“: „Für mich mussten die großen Choräle weniger triumphal und eher mitfühlend klingen. Die Streichertremoli wurden zu einem Atmen. Die emotionale Architektur der Musik sollte sich ohne Übertreibung entfalten, damit die Zuhörer:innen die Verwandlung organisch spüren können.“ Mahler war bekannt für seine akribischen Anweisungen in den Partituren, doch Wong weiß: „Der tiefere Sinn liegt jenseits des Notierten. Die Partitur kann dir sagen, wie lange du warten sollst, aber nicht warum.“ Auf der Suche nach diesem „Warum“ tat Wong etwas, das Mahler sicher gefallen hätte: „Ich mache lange Spaziergänge – manchmal entlang des Shonan-Meeres in Japan, manchmal durch den [englischen] Peak District. Ich lausche dem Wind, dem Rhythmus der Schritte, dem Atem der Welt. In solchen Momenten beginnt das Stück, anders zu sprechen: weniger über Perfektion, mehr über Sinnhaftigkeit.“ „Als ich Mahlers Klavierrollen studierte, fand ich darin keine mechanische Genauigkeit, sondern Menschlichkeit. Sein Rubato war nicht ausschweifend, sondern lebendig, beinahe erfüllt von Unvollkommenheit. Er behandelte Zeit als etwas Flexibles, Atmendes. Ich begriff: Mahler zu dirigieren, das bedeutet, die Zeit durch sich durchfließen zu lassen – nicht, sie zu kontrollieren.“ Für Wong liegt der Schlüsselmoment der Sinfonie im fünften und letzten Satz: „Diese Stille, bevor der Chor im Finale einsetzt, unmittelbar nach dem letzten großen Sturm. Sie ist wie der Atem zwischen Leben und dem, was danach kommt. Ein Atem, der zwischen Katastrophe und Erneuerung schwebt. Eine Welt zwischen den Welten, geformt von fernen Fanfaren und nächtlichen Vogelrufen, bevor der Chor sein sanftes, leuchtendes ‚Aufersteh’n‘ anstimmt.“ „Es ist nicht der Triumph, der mich am meisten bewegt, sondern das Innehalten. Der Moment, in dem das Orchester alles gegeben hat und die Welt den Atem anhält“, so der Dirigent. „In dieser Pause geschieht etwas Heiliges. Man spürt, wie sich die Luft verändert. Man spürt, wie alle Herzen im Saal sich aufeinander einstimmen – im Warten auf das noch Unbekannte.“ Und wenn der Chor schließlich einsetzt – „Aufersteh’n, ja aufersteh’n wirst du“ –, sei das kein laut Wong kein Sieg, sondern eine Erkenntnis. „Als würde all das menschliche Ringen, all das Suchen und Zweifeln in stiller Akzeptanz münden“, sagt er. „Das ist Auferstehung: kein Fanfarenruf, sondern eine Rückkehr zur Stille, zum Licht.“
7. November 2025 5 Titel, 1 Stunde 25 Minuten ℗ 2025 Hallé Concerts Society
MUSIKLABEL
Halle Concerts SocietyProduktion
- Kahchun WongLinernotes