Sinfonie Nr. 6 in h‑Moll
Op. 74, TH 30 · “Pathetische Symphonie”
Die Betrachtung von Tschaikowskis „Sinfonie Nr. 6“ wird oft durch seinen Tod nur neun Tage nach der Uraufführung 1893 beeinflusst – und durch die Vermutung, er habe sich als Folge seiner verheimlichten Homosexualität das Leben genommen. Obwohl Tschaikowski selbst zugab, dass es sich um ein sehr persönliches Werk handelt – der ebenfalls verwendete Titel „Pathétique“ deutet auf ein starkes emotionales Element hin – gibt es kaum Hinweise darauf, dass er diese Musik als Abschiedsbrief oder als Abschied von der Komposition betrachtete. In der Sinfonie finden sich jedoch Andeutungen zum Thema Sterblichkeit – vom gleißenden Fagottsolo zu Beginn bis zum schwachen Abklingen des Lebenspulses am Ende. Existenzielle Instabilität durchzieht die Musik. Der donnernde Ausbruch aufgestauter Ängste im ersten Satz ist ein Beispiel dafür. Der zweite Satz tarnt sich als Walzer, wird aber rhythmisch aufgebrochen und scheint von großen Unsicherheiten geprägt. Der dritte Satz, oberflächlich betrachtet temporeich und dynamisch, birgt eine erkennbare Sprunghaftigkeit in sich. Das langsame Finale ist von überwältigender Schönheit, obwohl auch über ihm eine Ahnung von Verlust und Vergänglichkeit schwebt. Tschaikowski misstraute autobiografischen Erklärungsversuchen zu seiner Musik, erkannte in dieser Sinfonie aber selbst das Besondere: „Ich liebe sie“, so kommentierte er, „wie ich noch nie einen meiner musikalischen Sprösslinge geliebt habe“.